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Channel: Kommentare zu: Reisetagebuch Japan: Im Genuss japanischer Höflichkeit
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Von: Ria Roto

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Habe ich Herrn Kauder falsch verstanden? Setzt er einen verqueren Nationalismus mit einem berechtigten Stolz auf die eigene Nationalität, auf die Leistungen der eigenen Gesellschaft gleich? Wenn dem so ist, dann sei ihm gesagt:

Wir haben wahrlich genug Gründe, auf unsere nationalen und internationalen Nachkriegsleistungen in Form eines berechtigten Nationalgefühls stolz zu sein!

Wie haben wir denn begonnen? 1945 war ein Restwohl nur Denen, die auf dem Lande mit einer weitgehenden Selbstversorgung zurechtkamen. Aber das war die Minderheit, zumal auch die Männer und Handwerker für die Feldarbeit fehlten. Wir waren im wahrsten Sinne staatenlos. 1945 hatte niemand auch nur die leiseste Ahnung, wie denn der nächste Tage aussehen wird. An ein verdientes Einkommen, an Produktion, an Gewerbe, an Handwerk und an Landwirtschaft war nicht zu denken, nicht mal war davon zu träumen. Frauen die nur noch Männerarbeit machen mussten. Mütter, die keinen Halt mehr hatten. Kinder die sich an die hilflosen Mütter klammerten. Frauen, die besonders im Osten als Freiwild galten konnten. Flüchtlingsschicksale, die das ganze Leben traumatisieren. Männer die die Verantwortung für die Lieben tragen sollten, aber nicht wussten, wie sie damit beginnen können. Die Familien zerrissen und zerstört.

Jeden Morgen sah man die verweinten Augen der Frauen. Über all dem drohte auch die Sorge um die Männer, Frauen und Kinder, deren Schicksale ungewiss waren. Mama, wann kommt der Papa wieder? Aber wir kannten ihn ja gar nicht. Die Mutter und die Großeltern: Wir wissen nichts. Lebt er noch? Wann kommt endlich ein Lebenszeichen? Und dann war er 1947 da. Ein gebrochener Mann, ein unbekannter Mensch. Frau und Mann mussten mit dieser psychischen Belastung nach vielen Jahren familiärer Entwöhnung wieder zusammen finden. Und die Kinder dazwischen. Plötzlich war da ein anderer Mensch, der auch was zu sagen haben wollte. Die Psyche eines ganzen Volkes war nur noch ein unentwirrbares Bündel aus Angst und Schrecken. Der Begriff Lebensfreude galt auf ewig als unerreichbar. Aus dem größten industriellen und gesellschaftlichen Schutthaufen der modernen Weltgeschichte musste neu aufgebaut werden. Zutiefst demoralisiert und einer unbekannten Fremdherrschaft ausgesetzt, haben unsere Eltern ohne jeden Glauben an eine Zukunft und einen funktionierenden Staat begonnen und leben müssen.

Zuerst kamen die Sieger mit der Notversorgung aus den weltweit zusammengekarrten Resten. Dann kam als größter Segen die Schulspeisung. Damit wurden zumindest die Folgen der Mangelernährung aufgehalten, aber eben auch nicht behoben. Dann wurden aus dem Schutt die Steine und das Metall geborgen. Notdürftig wurden Mauern gestützt und gebaut. Über allem drohte der Morgenthauplan, der uns auf ewig zu einer Bauerngesellschaft machen wollte. Aber die Alliierten wussten dann auch, dass alles nicht so ungeplant und zufällig weitergehen konnte. Der Marshallplan gab Hilfestellungen für den industriellen Wiederaufbau, während gleichzeitig die Reparationslieferungen den Osten entkernten. Dennoch ging es langsam weiter und hin und wieder auch bergauf. Davon merkte aber ein großer Teil der Bevölkerung nichts. Einschneidend dann 1948 der Ruck durch die Währungsreform und der große Sprung nach vorn. Man merkte, es gibt eine Zukunft. Wenn man auch nicht wusste, wie wer sie gestalten wird.

Wir haben den Wiederaufbau selbst geschafft. Auch die Marshallplangelder mussten zurückgezahlt werden. Von den europäischen Ländern absolut keine Unterstützung. Lediglich die Amerikaner und deren Hilfsorganisationen (Quäker!) hatten Erbarmen. Aber unsere deutschen Tugenden, die vorher so schändlich missbraucht wurden, haben wir genutzt. Das Ergebnis der Folgejahre ist bekannt. Es kamen mehrere Wellen der Weltwirtschaftsschwierigkeiten. Und dennoch mussten wir alle 5-7 Jahre unsere Währung aufwerten und alle anderen Länder ihre zum Teil rabiat abwerten, weil unsere Produktivität mit der modernen industriellen Ausstattung permanent stieg und die europäischen Nachbarn nicht mithalten konnten. Die rieben sich verwundert die Augen und der Begriff Wirtschaftswunder war geboren. Derweil drohten wir zwischen den Mächten des kalten Krieges zerrieben zu werden. Denn wer traut einem solchen Land zwischen den Fronten eine problemlose und bessere Zukunft zu? Aber auch diese Probleme haben wir gemeistert und die CDU hat, im Gegensatz zur SPD und der ev. Kirche, immer noch fest an die Wiedervereinigung geglaubt. Dann kam sie, die Chance aus der Position der Stärke geboren, die Wiedervereinigung. Nur unsere Nachkriegsleistung hat uns für den Osten zum gelobten Land gemacht. Welches Land, welche internationale Organisation hat uns dabei geholfen? Niemand. Wenn die Amerikaner nicht die Chance gesehen hätten, mit der Wiedervereinigung dem anderen kalten Krieger den Gnadenschuss zu geben, wäre auch dieses epochale Ereignis nicht möglich gewesen. Auch alle anderen Nachbarn waren dagegen. Wir haben die Wiedervereinigung alleine gemeistert. Hilfe wurde nicht angeboten, erbeten und gebraucht. Allein unsere Kraft hat dafür gereicht. Und dann kam die Quittung, denn Mitte der 90ger galten wir als der kranke Mann Europas. Was kam, war eine revolutionäre Kraftanstrengung um die Industrie wieder wettbewerbsfähig zu machen. Auch diese Mammutaufgabe haben wir alleine und ohne jede fremde Hilfe bewältigt. Dagegen haben unsere Nachbarn diesen gesellschaftlichen Wandel und die industrielle Erneuerung nicht mit gleicher Entschlossenheit umgesetzt. Das Ergebnis ist an den Außenhandelsbilanzen abzulesen.

Wenn die Amerikaner und andere Länder jetzt gar fordern, dass wir mehr konsumieren sollen, um die Bilanz nicht zu einseitig werden zu lassen, dann ist das doch ein klares Eingeständnis dafür, dass sie sich unserer Produktivität nicht gewachsen fühlen und wir doch bitte durch unsinnigen Konsum einen Teil unserer Produktivität auf diesem Wege vernichten sollen. Jetzt sind wir sogar zum Zahlmeister Europas geworden, was uns dann auch noch den Vorwurf der Rittmeisterallüren einbringt. Verkehrte Welt und verdrehte Maßstäbe! Unsere Regierung wird weltweit als vorbildlich angesehen. Frau Dr. Merkel genießt weltweit das größte mögliche Ansehen. Nur unseren zögerlichen Pazifismus, den will niemand im Ausland mehr verstehen. Wie groß ist die Bundeswehr, wie schlecht ist sie ausgerüstet und wo soll sie überall eingesetzt werden? The Germans to the front! Für viele sind wir alleine schon deshalb wieder unheimlich, weil wir die gesammte Nachkriegszeit ohne fremde Hilfe gestaltet und optimal bewältigt haben.

Wenn wir auf diese Bilanz nicht ein wenig stolz sein dürfen, worauf denn sonst? Aber es gibt auch Parallelen. Denn Japan ist in den Jahren von 1945 bis ca. 1985 das Gleiche geglückt. Die dürfen ebenfalls darauf zu Recht stolz sein. Südkorea, China, Polen, die baltischen Staaten und einigen anderen Ländern erbrachten und erbringen die gleiche Leistung. Auch denen wird niemand das Recht und den Stolz auf ihr neu gefundenes Nationalgefühl absprechen.
Aber wir beanspruchen wieder einmal eine Sonderrolle. Wir sollen in ewiger Demut verharren. Denn ein Volk, in dieser Demut kurz gehalten, ist natürlich auch leichter zu regieren. Dafür haben die neuen Generationen kein Verständnis. Zu erwarten und zu verlangen, dass wir den großen emotionalen Sprung, in Form einer Verleugnung der nationalen Identität zugunsten eines europäischen Nationalgefühls (the Germans to the front!), eines schönen europäischen Wundertages erleben, ist pure Illusion. Davor sollten uns die vom Ausland zugeschriebenen Tugenden bewahren.


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